Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters by Kapitelman Dmitrij

Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters by Kapitelman Dmitrij

Autor:Kapitelman, Dmitrij [Kapitelman, Dmitrij]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Erzählungen
ISBN: 9783446254299
Herausgeber: Hanser, Carl Verlag GmbH & Co. KG
veröffentlicht: 2016-08-22T00:00:00+00:00


Weiße Vögel

Morgendlicher Anruf der Chefin. Papa rapportiert, dass ich gestern meine Bar-Mizwa begangen und sogar gebetet habe. Dass er währenddessen lieber gehäutete Kuhhinternschnipsel anstarrte, lässt er unerwähnt. Ihr fällt zu meinem Erlebnis ein, dass die Leipziger Haus-Garten-Freizeit-Messe bevorsteht. Dann erhalten wir Instruktionen, mit welchen Waschmitteln wir unsere Reisekleidung zu reinigen befugt sind.

Die Rothschildstraße liegt ruhig in ihrem wohlverdienten Sabbatschläfchen. Eine Katze streckt sich genüsslich im Sonnenschein und wälzt sich auf der warmen Erde. Rings um sie herum liegen Dreck und Glasscherben, aber die Katze ist zufrieden. Beneidenswert. Sie weiß, wo sie hingehört.

»Papa, ich ziehe in Betracht, die israelische Staatsbürgerschaft anzunehmen und zumindest für eine Weile in Israel zu leben.«

»Du denkst an Alija?«

»Ja.«

»Seit wann denn?«

»Seit wir im Diasporamuseum waren.«

»Ein interessanter, aber schwieriger Gedanke. Du weißt, dass du dann zum Militär musst. Für zwei Jahre.«

Das weiß ich tatsächlich. Aber zur Kenntnis nehmen will ich es nicht. Wie ein Kind, das sich ein Pony in den Kopf gesetzt hat und nicht hören will, dass das Pony Arbeit macht und scheißt.

»Borja hat mir erzählt, dass es im vergangenen Sommer, als die Kämpfe wieder losgingen, einen Waffenruf an alle Dienstfähigen Israels gab. Weißt du, wie hoch die Meldequote war?«

»Wie hoch?«

»Hundertsechzehn Prozent!«

»Hundertsechzehn Prozent? Das geht doch mathematisch gar nicht.«

»Doch, das geht, wenn die nicht mehr als dienstfähig Geführten sich ebenfalls anbieten.«

Lebenszeitverschwendung beim Militär, als Aufnahmeritual im Heiligen Land. Zwei Jahre würde ich vielleicht sogar opfern, Lebensvorrat habe ich ja noch einigermaßen. Aber wer sich einer Armee anschließt, erklärt sich dazu bereit, gegebenenfalls gegen eine andere Armee zu kämpfen. Nicht alle Juden sind Feiglinge. Manche sind auch Pazifisten. Ob sich manche Juden, vor allem die in Israel lebenden, Pazifismus nicht leisten können, ist eine andere Frage.

»Und einen deutschen Pass kannst du dann auch nicht mehr beantragen. Warum besorgst du dir nicht einen deutschen Pass und ziehst dann damit nach Israel? Mit dem kannst du hier auch leben und umgehst die Wehrpflicht.«

»Weil ich mich nicht als Deutscher fühle. Du weißt doch, wie die Behörden uns immer behandelt haben.«

Ich gestikuliere mit angewidertem Gesicht.

»Wie den letzten Dreck, ja.«

»Und Israel sagt nun: Du bist hier willkommen, du gehörst hierher.«

»Du könntest ja auch mit dem ukrainischen Pass hierherkommen. So umgehst du die Wehrpflicht auch. Wird dann vielleicht nur etwas umständlicher mit der Arbeitsgenehmigung.«

»Aber es geht um Heimat, Papa. Ankommen und dazugehören. Als vollwertiges Mitglied anerkannt werden. Ganz selbstverständlich. Was habe ich denn noch mit der Ukraine zu tun?«

»Absolut nichts. Ich rate dir ja nicht ab von Israel. Ich erkläre dir nur, dass hinter dieser Entscheidung sehr viele Fragezeichen lauern. Und was ist mit deinen Freunden in Deutschland?«

Blöde gute Frage. Denen werde ich natürlich wie ein Wolf hinterherjaulen. Andererseits dauert der Flug von Tel Aviv nach Berlin überschaubare zweihundertvierzig Minuten. Um Hakan in München zu besuchen, muss ich fünfeinhalb Stunden im ICE hocken. Wo ist also der big deal? Gut, diese für Fremde ernst klingende, dabei doch so unfassbar lustige, zarte, tiefsinnige deutsche Sprache wird mir als Hauptmelodie meines akustischen Alltags fehlen. Meine nemzi. Trotzdem.

Unweit der Promenade steht ein weißer, etwas rostiger Pavillon. Darin spielen alte Männer Schach und Domino.



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